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Gamification im Marketing

Wandel vom extrinsischen Belohnungsprogramm zu einem intrinsischen Bindungsprogramm?
Roman Rackwitz | 11.09.2023
© Roman Rackwitz
 

Besonders im Marketing offenbart sich bis heute das Unverständnis beim Thema Gamification. Auch wenn hier Kundenbindungsprogramme immer bunter und digitaler werden, geht die Tendenz eher noch stärker hin zu extrinsisch getriebenen Belohnungssystemen, die das genaue Gegenteil zum originären intrinsischen Ansatz von Gamification abbilden.

Obwohl die Gamification-Branche bereits ungefähr 15 bis 16 Jahre alt ist, kann man nach wie vor sagen, dass der Begriff und mit ihm auch die Bedeutung und somit das ganz klare Verständnis, was unter der Oberfläche von Gamification steckt, immer noch ziemlich unklar ist. Natürlich hängt das auch mit dem Begriff zusammen. Man darf sich nicht wundern, dass allein ein Wort wie Gamification sofort den Gedanken an etwas triggert, das wie ein buntes Spiel aussieht und digital über den Bildschirm flitzt. Der Erfolg der klassischen Spieleindustrie der letzten Jahrzehnte hat uns hier (leider) stark konditioniert. Dabei vergessen wir immer wieder, dass der Mensch spielt seit es ihn gibt. Es ist kein nativ digitales Medium. In seinem Ursprung ist es noch nicht mal ein Unterhaltungsmedium. Stattdessen war das Spiel seit Urzeiten ein elementarer Baustein, um sich in einem, durch Regelwerke „geschützten Raum“ auf herausfordernde Situationen im wahren Leben vorzubereiten.

Wo diese Diskrepanz des Verständnisses am größten wird, aus meiner Sicht, ist der Bereich der Kundenbindung. Hier kündigen sich fast täglich neue Loyalitätsprogramme an, die mit dem Einsatz von Gamification werben. Zum Großteil beworben als Programme, bei denen man etwas gewinnen kann, wo man Punkte & Badges für getätigte Interaktionen und Transaktionen erhält und die besonders durch ein digitales Erscheinungsbild auffallen, das leicht als ein spielerisch anmutende User Interface interpretiert werden kann.

Und dennoch: Trotz all dieser Ansätze, handelt es sich im Kern nach wie vor um die „alte“ Logik der extrinsisch getriebenen Belohnungssysteme. „Gib dein Geld aus und du bekommst was dafür.“ Etwas ketzerisch ausgedrückt sind all diese Loyalitätsprogramme nichts anderes als Bestechungsprogramme. Und sie funktionieren auch als solche. Sehr erfolgreich sogar. Nur Loyalität bekommt man kaum von bestochenen Personen.

Wie kann der Wandel vom extrinsischen Belohnungsprogramm zu einem intrinsischen Bindungsprogramm stattdessen geschehen?

Dafür kann es schon ausreichen, allein die vier Grundlagen spielerischer Systeme zu verstehen: eine Journey, begleitende Herausforderungen, gefühlte Autonomie und Unvorhersehbarkeit.

Nähern wir uns dem Ganzen in umgekehrter Reihenfolge:

Die Unvorhersehbarkeit steht für Neues, aber auch für das „Überraschende“ brechen von Erwartungen, das Schaffen von Aha-Momente und mehr. Das Fesselnde an der Unvorhersehbarkeit im Spiel ist, dass wir uns an diese neue Situation anpassen müssen.

Womit wir beim nächsten Punkt sind, der gefühlten Autonomie. Spielerisches Verhalten ist nicht das Abarbeiten einer Checkliste. Im Gegenteil. Es geht darum, auf die möglichen nächsten Schritte selbst zu kommen, um diese dann auszutesten.

Dies macht es auch einfach, den weiteren Punkt zu verstehen, nämlich die Herausforderung. Spiele, ebenso wie Hobbys, sind einfach zu beginnen, aber schwer zu meistern. Das ausgewogene Balancing der Herausforderungen ist hier das Geheimnis. Daher Vorsicht: Würden die Anforderungen im Spiel nicht mit unserem persönlichen Lernforstschritt mithalten, würde es langweilig werden und wir „verlassen“ es früher oder später.

Genau das führt uns auch zur vierten, und aus meiner Sicht, über allem schwebenden Grundlage: die Journey. Erleben wir den Fortschritt innerhalb einer gegebenen Journey, fällt es uns leichter zu erkennen, welche Strecke man bereits gemeinsam gegangen ist. Sie kommuniziert indirekt die investierte Zeit und „Arbeit“, die man in den Fortschritt der Journey investiert hat. Aus psychologischer Sicht elementar für das Wecken intrinsischer Motivation, die dafür sorgt, dass man mit Freude dabeibleibt, etwas zu tun.

 

Stellt man den extrinsischen Ansatz dem intrinsischen Ansatz gegenüber, wird einem das unterschiedliche Menschenbild klar, das beide abbilden. Beim extrinsischen Belohnungsansatz geht man von einem Menschen aus, der alles immer einfach möchte, so schnell wie möglich und der für sein Verhalten eine Belohnung erwartet.

Der intrinsische Ansatz geht von einem Menschen aus, der – betrachten wir einmal das Spiel – es genau anders herum sieht: Man freut sich auf die steigende Herausforderung, es darf ruhig über einen längeren Zeitraum gehen und man macht es um des Machens Willen und nicht für eine Belohnung am Ende.

Beide beschriebenen Personas existieren. Sie existieren gleichzeitig in jedem von uns. Und dennoch wissen wir, welche Persona wir lieber hätten, wenn es um die Loyalität zur eigenen Marke geht, richtig? Die Frage muss daher lauten, wie gestalten wir Kundenbindungsprogramme, die weniger die extrinsische Persona als vielmehr die intrinsische Persona bedienen.

Zwei Beispiele.

Dafür nehmen wir

1. einmal Kundenbindung für ein alltägliches Produkt wie Wein und ein

2. weiteres Kundenbindungsprogramm für ein Luxusprodukt wie ein Supersportwagen.

Obwohl komplett unterschiedliche Produkte und komplett unterschiedliche Zielgruppen, setzen wir in beiden Kontexten auf dieselben 4 Grundlagen intrinsisch motivierender Kontexte.

Wir gestalten also ein Kundenbindungsprogramm, das nicht mehr auf Belohnung durch getätigte Transaktion setzt (extrinsisch), sondern auf das schrittweise Anbieten von Herausforderungen, um an einer als persönlich erlebten Journey wachsen zu können.

Wir beginnen mit der Journey.

Für beide Produkte kann man eine Art Fähigkeiten- und Fortschrittsbaum aufbauen. Beim Wein ist es das Verständnis für Trauben, Region, Komplexität und mehr.

Beim Supersportwagen ist es die Kenntnis über die Features, das operative Handling, Fahrwissen und mehr.

 

Die unterschiedlichen Wege innerhalb der Journey, repräsentiert durch mehrere Möglichkeiten, Fähigkeiten zu entwickeln (Wissen, Handling, usw.), geben der gefühlten Autonomie den notwendigen Raum zu entstehen.

Je nach Gestaltungsvorgaben können sich die aufeinander aufbauenden Meilensteine angekündigt oder unvorhersehbar freischalten. Womit auch die letzte der vier Grundlagen bedacht wäre.

Das ist, wenn auch nur sehr rudimentär, bereits eine umsetzbare Variante zur klassischen Kundenbindung. Natürlich können diese auch komplementär zusammenarbeiten, solange sie aufeinander abgestimmt werden.

Zum Abschluss hier noch eine Designinspiration für die Visualisierung einer solchen Weinjourney, aus unserem Hause: