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Übernimmt künstliche Intelligenz das Storytelling?

Künstliche Intelligenz bietet für das Content Marketing viele Vorteile, doch bei den wichtigsten Kriterien können Menschen punkten. Ein Vergleich.
Petra Sammer | 14.08.2017

Chatbots, AI, AR, VR, Programmatic Planning … wer sich mit Marketing heute beschäftigt, bekommt den Eindruck, dass bald schon Maschinen den Job von Marketingprofis und Pressesprechern übernehmen könnten. Ganz so weit ist es noch nicht, doch die einst chaotisch agierende Kreativindustrie schielt schon nach den Workflows der prozessoptimierten IT-Branche und an der Croisette fragt man sich, wann die ersten Roboter die Cannes Löwen abholen. 2016 räumte die ING Bank gleich mehrere Cannes Löwen mit einem Projekt ab, das den Topos „Mensch versus Maschine“ kreativ in Szene setzte: Um sich als innovative Bank zu positionieren, ließ ING alle Portraits, die der Barockmalers Rembrandt je gemalt hatte, einscannen. Mit dieser gewaltigen Datenmenge wurde anschließend ein neues Portrait produziert - per 3D-Drucker. „The next Rembrand“ war keine Kopie, sondern ein neu erschaffenes Werk. Kunstexperten, vor allem aber Kreative versetzte “The next Rembrandt“ in helle Aufregung. Kern der Diskussion war die Frage: Wenn man einer Maschine beibringen kann, ein kreatives Werk zu erschaffen, ist dann menschliche Kreativität zukünftig überflüssig? Die schnellen Fortschritte und technischen Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz (AI) in naher Zukunft bieten wird, sorgt nicht nur unter Künstlern für Diskussionsstoff, sondern beflügelt auch die Werbe- und Kommunikationsbranche. Saatchi & Saatchi präsentierte bereits den ersten AI-Film. Musikstudios komponieren den Sound für Werbespots mit Hilfe von Algorithmen, Mediaplaner überlassen die Platzierung von Kampagnenflights dem Computer, Pressestellen liebäugeln damit, Anfragen per Chatbot automatisch beantworten zu lassen und IBM´s Watson beweist während Wimbledon 2017, dass man auf ein ganzes Redaktionsteam verzichten kann. Die Vorteile der Maschine gegenüber dem Menschen sind bestechend: AI-Programme sind schneller, effektiver und langfristig auch günstiger. Kein Wunder also, dass sich Storyteller aus Marketing und Unternehmenskommunikation ganz besonders für diese Technologie interessieren. Denn die Kunst des Geschichtenerzählens bietet einige Aspekte, die sich automatisieren lassen. Zum Beispiel die Struktur einer Geschichte: Ausgangsposition, Wendepunkt und Ende, das Aristotelische Bauprinzip einer guten Story, das Gustav Freytag zum berühmten 5-Akter ausbaute, kann ein Computer schnell erfassen. Oder die Stationen der Heldenreise, der Urgeschichte, die wir laut Mythenforscher Joseph Campbell immer und immer wieder erzählen, kann ein Algorithmus automatisch erstellen. Vorgefertigte Textbausteine können smart und flexibel zusammengesetzt werden, wie wir im Roboterjournalismus heute schon sehen und Netflix passt Geschichten laufend auf den Zuschauergeschmack an - anhand des Userverhaltens, wann ein, ab und umgeschaltet wurde. AI-Storytelling steckt heute noch in den Kinderschuhen, wird langfristig aber ein Erfolgsmodell werden. Denn die automatisierte Form des Geschichtenerzählens bietet Lösungen für drei Probleme, vor denen das Marketing heute steht: 1. Big Data: Schon heute steht uns eine Unmenge an Informationen zur Verfügung. Doch wie erzählen wir diese Datenmenge? AI kann helfen aus „Big Data“ die für uns spannenden Stories herauszufiltern. Der Einsatz von IBS´s Watson während Wimbledon 2017 ist ein aktueller Beweis, wie Data-Driven Storytelling aussehen kann. 2. Dynamische und fragmentierte Märkte: AI ermöglicht es, Geschichten flexibel in einem sich konstant verändernden Umfeld zu erzählen und Inhalte für unterschiedliche Zielgruppen agil anzupassen. Mit AI-Storytelling kann man auf den fragmentiertesten Märkten gezielt kommunizieren. Die Maschine errechnet, wie und wo effektiv Inhalte platziert werden (programmatic planning) und passt die Inhalte in Echtzeit an – ganz nach den Neigungen der adressierten Zielgruppen. 3. UBX (Useful Brand Experience): Am spannendesten wird in Zukunft jedoch das Einbeziehen der Rezipienten in partizipatorische Formen des Storytellings sein. Neue Techniken wie AR oder VR, in Kombination mit AI, bieten die Möglichkeit, Kunden an Markenstories teilnehmen zu lassen. Rezipienten sind nicht mehr Zuschauer oder Zuhörer, sondern sie sind mitten drin. Geschichten werden miterlebt und mitgestaltet. Dies ist das Versprechen auf eine komplett neue Marken-Erfahrung und damit auch Markenbindung. Noch sind wir am Anfang dieser Art des Storytellings. Samsung lädt uns beispielsweise ein, auf Wolkenkratzer zu steigen, um unsere Höhenangst zu überwinden und Lufthansa fliegt uns virtuell nach San Francisco. All dies sind Ein- und Ausblicke, Schau- und Wow-Projekte, aber noch keine Geschichten. Aufgabe von Marketing und Unternehmenskommunikation wird es zukünftig sein, uns auch hier mit spannenden Stories zu begeistern, uns nicht nur mitzunehmen, sondern auch mitmachen zu lassen. Doch so sehr die Begeisterung für neue Technologien und die zukünftigen Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz auch ist, entscheidend ist auch, die Limitation von AI-Storytelling anzuerkennen. Jonathan Gottschall bringt dies mit dem Titel seines Buches „The Storytelling Animal – How Stories Make US Human“ auf den Punkt. Denn Chat Bots können uns zwar Antworten auf die meist gestellten Fragen geben. Immersive und empathische Geschichten können sie aber nicht erzählen. Viele Elemente einer Geschichte lassen sich automatisieren, doch die Magie einer Story kommt letztendlich nicht durch einen Algorithmus. Ganz im Gegenteil: das Unvorhergesehene, das Überraschende, das Menschliche ist es, was uns an Stories fasziniert und uns eintauchen lässt. So sehr uns AI in Marketing und Unternehmenskommunikation eine Arbeitserleichterung ist, so sehr wird der Bedarf an kreativen, inspirierenden und menschlichen Geschichten bestehen bleiben. Daraus ergeben sich klare Anforderungen an die Zusammensetzung von Marketingteams und Kommunikationsabteilungen: Es braucht Kollegen, die sich tief in Bits und Bytes stürzen, um kontinuierlich mit den technologischen Voraussetzungen und Veränderungen vertraut zu sein. Und es braucht Kollegen, die um die Magie und Erfolgsbausteine guter Geschichten wissen und diese immer wieder neu und inspirierend in Szene setzen, ganz nach dem Motto von John Lasseter, Chief Creative Officer von Disney und Pixar: „And your work will not be about the technology. It will be about connecting and entertaining people.” included image