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Profitiert Augmented Reality vom Virus?

Das erzwungene Stillhalten hat dazu geführt, dass Firmen mit großer Kraft und Kreativität ausloten, welche Möglichkeiten das Virtuelle bietet.
Frank Puscher | 23.04.2020
Der Künstler John Mar gibt seinem Gemälde eine zeitliche Dimension mit der Hilfe von Augmented Reality © Screenshot/YouTube
 

Obwohl die Funktion schon ein Jahr alt ist, boomt dieser Tage die Darstellung von 3-D-Tieren im heimischen Wohnzimmer. Schuld daran ist die Google-Suche, die die AR-Anwendung in die Suchergebnisseiten integriert hat. Ist das der Durchbruch für AR?

 

Aus sozialer Distanz wird Fernerlebnis. Das zeigte sich nicht erst am dritten Aprilwochenende, als sich Megastars der Pop- und Rockszene zum „weltumspannenden“ Heimkonzert trafen und für einen guten Zweck musizierten. Das hat jeder Freundeskreis erlebt, der sich in Apps wie Houseparty verabredet, um virtuell gemeinsam ein Bier zu trinken und über alte Zeiten zu reden. Theater streamen live, Orchestermusiker treffen sich virtuell, selbst das so reale Kino feiert seinen virtuellen Zwilling, und das obwohl längst alle Netflix- oder Amazon-Prime-Kunden sind.

 

Das erzwungene Stillhalten hat dazu geführt, dass Firmen, Institutionen und User mit großer Kraft und Kreativität ausloten, welche Möglichkeiten das Virtuelle wirklich bietet. Ausreden zählen nicht, denn online ist alternativlos. Endlich hat man Zeit, sich an veränderte Arbeitsabläufe zu gewöhnen, neue Tools und Techniken zu testen.

 

Professional AR

 

Techniken wie Augmented Reality. „In den Ländern, wo Corona in größerem Umfang ausgebrochen ist, spüren wir einen deutlichen Anstieg der Nutzung. In China sind es über drei Mal so viel“, sagt Martina Dier. Dier ist Pressesprecherin von TeamViewer aus Göppingen. Das Softwarehaus ist berühmt geworden durch eine Software zur Fernsteuerung von PCs. Inzwischen gehören alle möglichen Anwendungen zur Fernwartung aber auch für Online-Meetings und Webinare zum Portfolio.

 

Und besonders stolz ist man auf TeamViewer Pilot, wenn man so will eine Fernsteuerung für Menschen. Das Prinzip ist denkbar simpel: Der Hilfsbedürftige ruft den potenziellen Helfer mit seinem Smartphone an und zeigt ihm das Problem via Kamera. Der Helfende kann nun mit ganz einfachen Zeichenwerkzeugen digitale Informationen über das reale Bild legen, und somit eine Anleitung zur Problemlösung anbieten. Er zeichnet schlicht einen Pfeil auf die Schraube, die der Laie am anderen Ende drehen soll.

 

„Wenn die Menschen nicht mobil sind, dann wird genauer geprüft, welche Möglichkeiten darin liegen, Probleme über digitale Verbindungen zu lösen“, sagt Martina Dier. Für TeamViewer gilt das vor allem auch international. Wenn der Maschinenexperte in Deutschland sitzt, aber die Installation in Bulgarien ausfällt, kann diese Form der assistierten Fernwartung für den Kunden vor Ort Gold wert sein.

 

Augmented Reality im professionellen Umfeld gibt es längst. Boeing war eines der ersten Unternehmen, das Handbücher für Triebwerke digitalisierte und dem Mechaniker auf eine AR-Brille spielte. Inzwischen zeigt sich: Auch für viel einfachere Anwendungen funktioniert das Prinzip. Und keiner braucht eine Brille, der ein Smartphone hat. Zum Beispiel lässt sich der Freigabeprozess für Marketingmaterial auf ähnliche Weise umsetzen. Die „distanzierten“ Mitarbeiter zeigen sich gegenseitig Entwürfe und „kommentieren“ diese mit digitalen Buntstiften.

 

Entertaining AR

Spannend bleibt die Frage, ob AR auch aus dem Blickwinkel der Endkunden interessanter wird. Seit Pokémon Go hat es kein Ansatz geschafft, die Menschen in großem Stil für diese Technik zu begeistern. Die US-Analysten von The Verge sehen jetzt eine Chance, weil die Menschen in diesen Tagen ein anderes Lese- und Medienkonsumverhalten an den Tag legen. Sie glauben, dass vor allem aufwendige Online-Informationsangebote mehr Publikum bekommen.

 

Das Magazin National Geographic hat seit Langem mal wieder ein scanbares Titelblatt auf den Markt gebracht. Es geht um die Welt, wie sie 2070 sein könnte.

 

Der Spieleriese Mojang hat schon im Dezember eine neue Version von Minecraft unter dem Namen Minecraft Earth vorgestellt, die es erlaubt, der schnöden realen Welt coole Klötzchenbauten hinzuzufügen. Man möchte das neue Pokémon Go werden, verkündet das US-Magazin Wired den vollmundigen Anspruch.

 

Auch Tobias Kaufmann, der Mediensprecher des 1. FC Köln, vermutet, dass Hightech à la AR dieser Tage einen Schub bekommt, der auch nach der Krise nicht wieder weg geht. Sein Verein bietet Fans eine App an, mit der sich die dreidimensionale Mannschaftsaufstellung buchstäblich auf einem Bierdeckel platzieren lässt. Konkret auf einem der Privatbrauerei Gaffel, denn die ist ja Sponsor der Domstädter.

 

Für Kaufmann ist es nicht nur wichtig, dass die Fans neue Formate adaptieren, sondern auch, dass die potenziellen Werbekunden auf neue Ideen gebracht werden. „In vielen Gesprächen spüren wir, dass wir innovativer denken“, erklärt Kaufmann. Er entwickelt seine Abteilung gerade zu einer Art Agentur um. „Medienhaus sein reicht uns auf Dauer nicht“, so Kaufmann.

 

Denn gerade im Bereich Augmented Reality liegt möglicherweise ein Teil der Zukunft von Sportmarketing. Da die Stadionflächen ausgebucht sind, lässt sich die Wertschöpfung nur erhöhen, wenn man Zusatzangebote schafft oder die Stadion-Banner virtuell ersetzt, wie das die DFL schon bei Zusammenfassungen für ausländische Fernsehsender macht.

 

In diesem Geschäftsfeld bewegt sich auch WiMi, ein Unternehmen aus Hongkong. Es implementiert zum Beispiel Product-Placements in fertige Influencer-Videos und die Produkte sehen in Beleuchtung und Schattenwurf so aus, als wären sie Teil des realen Sets gewesen. Augmented Reality als Content-Werkzeug.

 

Letztlich werden sich auch Veranstalter und Keynote-Speaker in Zukunft fragen, ob sie nicht auch virtuell zusammenarbeiten, wenn eine reale Präsenz nicht möglich ist. Die Agentur 361/DRX brachte für ein VW-Event den Bundestrainer Jogi Löw virtuell auf die Bühne und die Besucher konnten mit ihm sogar Selfies schießen. Und der Technologie-Experte Sven Schreiber kündigte im Januar auf der Best of Events in Dortmund an: „Nächstes Jahr komme ich nicht mehr, da schicke ich meinen Avatar“.

 

Fazit

Wenn Sie einen Snapchat-Account haben, dann schauen Sie doch mal, was passiert, wenn Sie mit der Kamera einen 10-Euro-Schein scannen. Mithilfe der Covid-19-Lens kann der Schein direkt an den Solidaritätsfonds von WHO und UN gespendet werden. Besser kann man neue Technologie nicht einsetzen und besser kann man nicht zeigen, wie Augmented Reality den Brückenschlag von der realen in die digitale Welt und zurück schafft.

 

Snapchat ist Vorreiter in Sachen AR, weil man die Technologie Millionen von Kunden sehr einfach zugänglich gemacht hat. Facebook ist mit SparkAR nachgezogen. Damit lässt sich auch Instagram bespielen. Und neben Google kann auch YouTube inzwischen AR-Inhalte abspielen. Es gibt sogar ein erstes AR-Werbeformat.

 

Wenn man die Nutzer dazu bringt, mitzumachen und zu teilen, steckt in AR ein spannendes Marketing-Tool (Quelle: Screenshot/YouTube)

 

Nach der Krise wird es viele Anwender geben, die AR zum Beispiel in der Google-Suche ausprobiert haben. Der Zugang zur Technologie mittels Smartphone-Kamera wird alltäglich. Gleichzeitig erkennen aber auch viele User, dass die meisten AR-Anwendungen nicht über den Status einer Spielerei hinauskommen, auch der Google-Pinguin nicht.

 

Die virtuellen Haustiere von Google beflügeln derzeit das Ausprobieren von AR (Quelle: Screenshot/Google.de)

 

AR funktioniert immer dann, wenn:

  • Objekte (Möbel) in der eigenen Umgebung platziert werden sollen,
  • es einen relevanten Bedarf an Zusatzinformation zu einem Produkt oder Gegenstand gibt, etwa beim Pilze sammeln,
  • virtuelle Charaktere in realen Umfeldern zum Storytelling gehören (Fantasy-Filme, Mixed Reality Games),
  • User in großem Stil AR-Effekte an sich selbst ausprobieren und teilen,
  • oder wenn sehr kreative Köpfe, wie der Künstler John Mar neue Wege finden, Geschichten zu erzählen, die man anders nicht erzählen könnte.

 

Im Vorbeigehen funktioniert AR-Marketing auf keinen Fall.

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Über Frank Puscher

Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.