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Events in der Digitalbranche: Neue Formate, neue Player

Welche Inhalte überträgt man wie und interessiert das jemanden?
Frank Puscher | 27.05.2020
Events in der Digitalbranche: Neue Formate, neue Player © freepik / redkphotohobby
 

Alle Veranstalter von Messen und Konferenzen in der Marketingbranche fragen sich in diesen Tagen, wie man Events digitalisiert. Die Antworten fallen ähnlich aus, aber die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, sind sehr verschieden. Der Markt wird neu verteilt.

 

„Aus aktuellem Anlass: Ich muss gestehen, dass ich von Digital X gestern schon enttäuscht war. Da hatte ich mehr erwartet. Was bringt ein Live-streaming (wenn es eines war), wenn man den Unterschied nicht bemerkt? Was eine Netzwerk-Lounge, die nur Nachrichten von ‚Hallo, schön hier zu sein‘ bis ‚Wer Interesse an Beratung hat bitte Kontakt aufnehmen‘ enthält“.

 

Der Kommentar von Speaker und Moderator Frank Sonder steht stellvertretend für den längst fälligen Umbruch in der Eventbranche, vor allem im Marketing und besonders im digitalen Marketing. Seit fast 20 Jahren – seit Second Life – analysiert die Eventbranche die Möglichkeiten der digitalen Zusammenkunft und blieb im Wesentlichen ohne nennenswerte Ergebnisse. Ein paar Webinare hier, etwas Live-Streaming da und ein universelles – und gleichzeitig strukturloses - Talk-Format namens Podcast. Viel mehr haben die Veranstalter bis Februar 2020 nicht zustande gebracht. Und dann kam Corona.

 

Und plötzlich erinnerte man sich daran, dass Anbieter wie CreativeLive schon seit zehn Jahren erfolgreich eine Onlinekonferenz nicht nur ausgerichtet, sondern auch verkauft haben. Inzwischen ist aus dem einwöchigen Live-Online-Kurs eine Dauerveranstaltung geworden mit einem Geschäftsmodell namens Abonnement. Der feuchte Traum jedes Eventveranstalters. Was, wenn man dauerhaft Kontakt zu Besuchern und Ausstellern hält und diesen Kontakt digital monetarisiert, statt nur einmal im Jahr das Matchmaking in einer Messehalle zu bespielen?

 

Die ISPO macht das, in dem sie den Ausstellern die Möglichkeit bietet, mit potenziellen Kunden/Influencern Produkte zu entwickeln und zu testen. Die Koelnmesse rief letztes Jahr ihre Plattform aus, ohne wirklich zu wissen, womit man sie füllt. Immerhin, die Rheinländer haben jede Menge Erfahrung im Streaming, dank der Gamescom.

 

Noch rechnet die Koelnmesse mit der Möglichkeit, die Dmexco in Deutz durchführen zu können © Screenshot / Dmexco.de

 

Und das Lehrbeispiel Gaming ist nicht das schlechteste. Während sich das Marketing mit Zoom, GotoMeeting oder Skype herumschlägt, oder in den veralteten Interfaces von Webex oder Connect festhängt, weiß die Gaming-Branche längst, wie spannende Online-Events aussehen. Gestreamt wird zum Beispiel über Twitch, das eine leistungsfähige Server-Architektur im Rücken hat, denn Gaming heißt Echtzeit.

 

Das Signal kommt nicht einfach nur aus der Webcam. Die Software Open Broadcast Studio verknüpft verschiedene Eingabequellen und beherrscht den Green Screen schon seit zehn Jahren so gut, wie der Marketer sein Whitepaper.

Neue Formate, neue Player

Aber die technische Infrastruktur ist das kleinste Problem der Eventbranche. Die Auswahl an Tools ist endlos. Die Frage ist eher: Welche Inhalte überträgt man wie und … interessiert das jemanden?

 

Plötzlich wird der längst spürbare Konsolidierungsdruck in der Veranstaltungslandschaft für digitale Marketingthemen deutlicher spürbar. „Unser Event ist immer stärker verwässert. Es hatte seinen Fokus verloren“, sagt Marlene Lohmann vom EHI. Ihr „Marketing Forum“ mit Fokus auf der Digitalisierung des Handels wollte dieses Jahr sowieso eine Pause einlegen, um sich neu zu erfinden.

 

Und genau das machen jetzt alle gleichzeitig. Re-Publica: abgesagt, Webinale: verschoben, TOA: abgesagt, OMR: abgesagt, InternetWorld: abgesagt, GrowthmarketingSummit: geplant aber fraglich, Dmexco: geplant aber fraglich. „Positiv betrachtet hat uns die Krise geholfen, das Greentech Festival schneller als geplant auch auf virtuelle, digitale Füße zu stellen“, sagt auch Marco Voigt, der von Anfang an geplant hat, keine „Messe“, sondern eine ganzjährige Plattform zu werden. Nachfrage gibt es genug, aber eben auch viel Unsicherheit: „Dafür braucht es weitere finanzielle Unterstützung und klare, verlässliche Rahmenbedingungen“ erwartet Voigt von Senat und Bundesregierung.

 

„Wir werden in ein paar Jahren auf heute zurückschauen und feststellen: Krass, was da alles entstanden ist“, sagt Philipp Westermeyer, der Shooting-Star der deutschen Eventbranche in den letzten Jahren. Philipp hat Glück im Unglück. Er hat bei OMR neben dem Festival eine redaktionelle Marke aufgebaut mit Fachartikeln, Features und vor allem mit dem OMR-Podcast.

„Wir haben die Frequenz gesteigert auf zwei Podcasts die Woche, wir haben neue Formate, zum Beispiel Education-Podcasts dazu erfunden“. Für Westermeyer ist der Podcast zum Teil ein Ersatz für die Keynotes und Talks, die sonst auf der Bühne in den Hamburger Messehallen stattgefunden hätten.

 

Die Frequenz hochgefahren hat auch Sebastian Meyen. Und zwar die Webinar-Frequenz. „Wir haben schnell eine Reihe kleinerer Veranstaltungen aus der Taufe gehoben, um zu lernen“, erklärt der Hesse. Die Feuertaufe steht Ende Mai an. Dann wird mit der JAX Europas populärste JavaScript-Konferenz über die Bühne gehen. In drei parallelen Strängen, mit flankierenden Workshops und mit einer „Messe“. „Wir haben uns da ein besonderes Format ausgedacht. Es gibt feste Pausen und dann schicken wir die Teilnehmer in die virtuellen Nebenräume, wo sie sich mit Softwareherstellern und anderen Unternehmen besprechen können“. Und damit das klappt, gibt es ein Gamefication-Element, das mit einer Preisverleihung am Ende verbunden ist.

 

Aufmerksam verfolgt die Branche auch, was gerade bei Onlinemarketing,de passiert. Gründer Marc Stahlmann hat bereits 2018 The Digital Bash ins Leben gerufen, eine Online-Konferenz. Nach einigen vereinzelten Terminen 2019 gibt er seit Corona richtig Gas. „Wir haben das Format im Griff“, sagt er und meint die lässige, interaktive Atmosphäre in den Talks.

 

OnlineMarketing.de hat Glück: Das digitale Format „Bash“ ist schon seit zwei Jahren am Start und freut sich über eine treue Fan-Basis © Screenshot / Onlinemarketing.de

 

Webinare unterscheiden sich nur dann von Videos, wenn sie interaktiv sind, wenn Nutzer Fragen stellen können und das auch tun. Wenn ein Moderator oder Interviewer einen Speaker in die Mangel nimmt und ihm auf die Füße tritt, wenn er zu werblich wird. Und auch dieser Qualitätsmangel vieler realer Talks wird in diesen Tagen des digitalen Maximalangebots überdeutlich: Es gibt zu viele schlechte Vorträge und Workshops bei denen niemand „workt“, weil der „Frontalvortragende“ das gar nicht vorgesehen hat.

 

Marc Stahlmann hat das gelernt und setzt es um. Und seine Community dankt es ihm. Eben ging The Digital Bash Extreme zu Ende und die hat Geld gekostet. „Ich war total perplex, wie gut sich das verkauft hat“, so der Hamburger.

 

Der Podcast als Keynote, das – möglichst interaktive – Webinar als Workshop-Alternative und die gesponsorten Breakout-Rooms als Messeersatz. So allmählich nimmt die Verwandlung der Eventbranche Gestalt an und die Marktanteile werden neu verteilt. Alexandra Barth, die Marketingleiterin vom Hotelvermittler HRS kann sich vorstellen, dass bis zu zehn Prozent vom gesamten Geschäftsreise-Volumen dauerhaft wegbrechen. „Das Beispiel von Twitter ist ein Signal“, sagt die Kölnerin. Der Kurznachrichtendienst hat zunächst alle Geschäftsreisen auf Eis gelegt und die Devise ausgegeben „remote working ist the new normal“. Somit ist die gesamte Eventbranche gefordert, die Chancen der Digitalisierung auszuloten. Das Esplanade-Hotel in Dortmund bietet Unternehmen aus der Region bereits an, ihre Technik auch für Webinare und Video-Conferencing stundenweise zu mieten.

 

Auch René Kühn, Veranstalter der größten Konferenz für Content-Marketing hierzulande, ist sich nach den ersten Online-Gehversuchen sicher: „Wir machen das dauerhaft weiter“. Als Monetarisierungsmodell dafür steht auch ein Abo im Raum. Die CMCX hat sich über zehn Jahre das Vertrauen einer starken Content-Marketing-Community aufgebaut. Das kann funktionieren.

 

Ansonsten schadet in Sachen Finanzierung ein Blick auf Twitch nicht. Die Plattform hat ebenfalls eine Art Abo für die dauerhafte Verbindung zu einem „Creator“. Daneben gibt es aber auch noch sehr einfach einzusetzende Kleinstvergütungen, die von den Teilnehmern genutzt werden, wenn ihnen der Auftritt oder das Gesagte gefällt. Ein Performance-Modell. Und bei Onlinemarketing.de kommt wie erwähnt das Freemium-Modell zum Einsatz, das man ebenfalls aus der Games-Branche kennt. „Normale“ Inhalte sind kostenlos, Premium-Inhalte werden als Bezahlformat angeboten.

 

Und die Online Marketing Rockstars? Die werden im August eine Plattform zur Bewertung und Analyse von Softwarelösungen im Marketing vorstellen. OMR Reviews. Das ist für Philipp Westermeyer eine mögliche Alternative zum stationären Messegeschäft: „Auf dieser Basis lassen sich schnell Geschäftsmodelle entwickeln“.  

 

Auf sein Festival wird der Hamburger aber nicht verzichten. Das lebt von der Spontanität der Kontakte und von der Unterhaltung. „Wohnzimmerkonzerte schön und gut, aber das hat doch nichts mit einem echten Konzert zu tun,“ sagte Westermeyer. “Digital gab es ja auch vorher schon und trotzdem sind die Menschen ins Fußballstadion gegangen. Und das bleibt auch so.“

 

Wir werden sehen.

 

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Über Frank Puscher

Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.