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Kundenorientierung in den letzten Winkel des Unternehmens tragen

Mitarbeiter und Führungskräfte müssen sich mit kundenorientiertem Denken und Handeln intensiv auseinandersetzen - über alle Hierarchiestufen hinweg.
Anne M. Schüller | 17.10.2006
"Jeder Kunde, der zur Tür herein kommt, trägt für uns ein unsichtbares 10.000-Euro-Schild auf der Stirn", sagte mir kürzlich ein Herrenausstatter. „Und so behandeln ihn alle unsere Mitarbeiter – wie einen wertvollen Schatz."

Dieser vorausschauende Unternehmer tut alles, um seine Kunden zu begeistern – damit sie immer wieder kaufen und zu aktiven positiven Empfehlern werden. Dazu müssen sich alle Mitarbeiter und alle Führungskräfte mit kundenorientiertem Denken und Handeln intensiv auseinandersetzen, am besten gemeinsam über alle Hierarchie-Ebenen hinweg. Und: Alle müssen zu ‚Menschenverstehern’ werden.

Kunden setzen gutes Fachwissen heute ganz einfach voraus. Und obendrauf wünschen sie sich von ihren Ansprechpartnern schon seit langem Kommunikationsvermögen, Feingefühl und Empathie.

Soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz sind die Haupterfolgsfaktoren im Kundenkontakt. Sie können sogar fachliche Defizite ausgleichen. Andersherum funktioniert es allerdings nie – von einem Unsympathen kaufe ich nichts! Sympathie dagegen schafft Zuneigung – und damit Kaufbereitschaft.

Kundenorientierte Mitarbeiter-Entwicklung

Moderne Verkäufer-Ausbildung muss demnach weit über das reine Vermitteln von Gesprächsführungs-, Präsentations- und Abschlusstechniken hinausgehen und sich viel mehr mit den emotionalen Motiven und Bedürfnissen der "Kunden-Menschen" beschäftigen. Für viele praxisferne (Vertriebs-)Führungskräfte bedeutet dies, womöglich erstmals mit einem Kunden von Angesicht zu Angesicht zu reden – oder reden zu müssen.

Denn die neuen Kunden – gut informierte, hyperkritische, stets wechselbereite Anspruchsdenker - begnügen sich nicht mehr mit 'ihrem’ Verkäufer als alleinigem Ansprechpartner. Selbstbewusst, offensiv und Internet-geschult starten sie heutzutage von sich aus eine Recherche tief in das verkaufende Unternehmen hinein.

Ein solcher Kunde lässt sich seinen Ansprechpartner nicht mehr aufdiktieren! Er lässt sich auch nicht verordnen, auf welchem Kommunikationskanal er mit Ihnen in Kontakt treten 'darf'. Unternehmen, die dem Kunden vorschreiben wollen, wie die Dinge zu laufen haben, sind von gestern – und morgen nicht mehr im Spiel.

Fast jeder im Unternehmen kann heute direkt oder indirekt zur Anlaufstelle für den Kunden werden. Deshalb braucht nicht nur das Sales-Team, sondern letztlich jeder einzelne Mitarbeiter im Unternehmen kundenorientiertes Denken und Handeln, damit ein homogenes Bild auf hohem Niveau entsteht. Daran müsste gerade der Vertrieb größtes Interesse haben.

Jeder im Unternehmen trägt auf seine Weise dazu bei, Verkaufserfolge und Kunden-Loyalität zu erzielen. Selbst Mitarbeiter, die selten oder nie Kundenkontakt haben, können davon nicht ausgenommen werden. Auch der Lagerarbeiter, die Aushilfe und die Putzfrau müssen erkennen, welchen Beitrag zum ‚Kunden-begeistern-und-glücklich-machen’ sie ganz persönlich leisten können.

In Hotels beispielsweise tragen gerade die Zimmermädchen, die in der Hierarchie ganz unten angesiedelt sind, gewaltig dazu bei, wie wohl sich der Gast fühlt. Ein einziges fremdes Haar in der Badewanne, und er ward nie wieder gesehen.

Einstellung oder Verhalten?

Wahre Kundenorientierung bedeutet, die Perspektive zu wechseln, alles aus Sicht des Kunden zu betrachten, sich auf seinen Stuhl zu setzen, sich in seine Schuhe zu stellen. Und dies ist nicht nur eine Frage von ‚wissen’ und ‚können’, sondern insbesondere eine Frage des ‚wollen wollens’. Gefragt sind:

• eine kundenorientierte Einstellung (= was der Kunde spürt): der Umgang mit Kunden macht echt Spaß, man ist tolerant und verständnisvoll, man wertschätzt die Kunden, man fühlt sich persönlich verantwortlich für deren Wohlergehen, man kann sich gut in ihre Lage versetzen und tut das alles auch wirklich liebevoll, achtsam und gerne. Im Vordergrund steht das 'wollen wollen'.

• kundenorientiertes Verhalten (= was man tut, also der Kunde auch sieht): Man ist sicher im Umgang mit Kunden, bereitet sich gut auf den Kunden vor, man spricht eine kundenorientierte Sprache, man denkt für den Kunden mit, man unterstützt ihn aktiv und partnerschaftlich im Erreichen seiner Ziele, man befragt ihn über seine Bedürfnisse, man versucht, jeden machbaren Wunsch zu erfüllen oder, was noch viel hochwertiger ist, gar zu antizipieren.

Die kundenorientierte Einstellung ist dabei der vorrangige Aspekt. Fehlt die Einstellung, wirkt das Verhalten schnell aufgesetzt und andressiert. Verkaufstrainings beschäftigen sich immer noch viel zu sehr mit dem Runterbeten von Verkaufstechniken. Selbst, wenn diese gut beherrscht werden: Sie bewirken nichts, wenn die Einstellung nicht stimmt.

Kittstellen statt Schnittstellen!

In kundenorientierten Unternehmen ziehen alle Mitarbeiter und alle Unternehmensbereiche am gleichen Ende des Stranges - sie arbeiten Hand in Hand. Aus Schnittstellen müssen Kittstellen werden, denn das ‚Kunden-glücklich-machen’ wird in Zukunft nur über Abteilungsgrenzen hinweg funktionieren.

Abteilungsbarrieren existieren sowieso nur in den Köpfen der Mitarbeiter. Den Kunden interessiert ganz einfach nicht, welche Abteilung 'zuständig’ ist, er honoriert einzig und allein den reibungslosen Ablauf des Ganzen. Er will Komplettlösungen und keine Atomisierung seiner Belange.

Ein Kunde betrachtet ein Unternehmen immer als Einheit. Er will von jedem eine Spitzenleistung, da unterscheidet er nicht zwischen Innen- und Außendienst, zwischen Chef und Azubi. Wenn auch nur ein einziger Mitarbeiter bei Ihnen patzt, war aus Sicht des Kunden 'das Unternehmen' schuld.

Abteilungsdenke fördert Revier-Gehabe! Unnütze Energie wird vergeudet mit dem Abstecken von Grenzen und dem Zurückweisen von offensichtlichen oder scheinbaren Übergriffen. Und während ganze Unternehmensbereiche interne Feindbilder aufbauen, sich Schlammschlachten liefern und in Grabenkämpfen zerreiben, zieht der Kunde von dannen.

Während Streithähne mit sich selbst beschäftigt sind (…"Mit dem rede ich bis zur Rente nicht mehr!" - "Den lass ich am ausgestreckten Arm verhungern!"…), erfindet die Konkurrenz neue Produkte, verbessert ihren Service, kreiert neue Vertriebskonzepte – und macht das Rennen.

Kunden-Wissen muss im ganzen Unternehmen verfügbar sein, so dass jede Abteilung und jeder Mitarbeiter, der vom Kunden kontaktiert werden könnte, darauf Zugriff hat und es für seine Verkaufsarbeit nutzen kann. Kunden haben sich schon längst an vernetzte Systeme gewöhnt. Sie erwarten von jedem im Unternehmen kompetente Antworten.

Übrigens: Wo steckt bei Ihnen eigentlich das so wertvolle emotionale Wissen über Ihre Kunden? In den Köpfen Ihrer Mitarbeiter oder in Ihren Datenbanken? Verläßt Sie erst das Wissen und dann der Kunde, wenn Ihre Mitarbeiter mit guten Kundenkontakten irgendwann kündigen?

Kundenorientierte Vertriebsstrukturen

Ein produktorientierter Vertrieb und regional organisierte Verkaufsstrukturen sind nicht länger zielführend. Sie müssen durch kundenorientierte Strukturen ersetzt werden. Der lokale Firmensitz des Kunden oder seine Branchenzugehörigkeit darf nicht länger das entscheidende Kriterium dafür sein, welcher Sales-Mitarbeiter sein Ansprechpartner ist.

Der Kunde bzw. sein Buying Team entscheidet künftig, wer diese wichtige Funktion bei ihm ausfüllen darf. Die ernsthafte Hinwendung zur Kundenorientierung erfordert Strukturen, die auf Sympathie beruhen. Das will heißen: Der Kunde bekommt den Verkäufer, den er haben will, der zu ihm passt, den er braucht, den er mag.

Im BtoB-Bereich bedeutet dies: Der Kunde bestimmt den Umfang und die Zusammensetzung des gesamten Selling-Teams, also aller seiner Ansprechpartner im anbietenden Unternehmen. Dieses kann nur Angebote machen, d.h. dem Buying-Team einen adäquaten Kreis von Personen präsentieren, den dieses akzeptiert und emotional annimmt – oder auch nicht. Jedes Mitglied des Teams steht dabei zur Disposition und muss gegebenenfalls ausgetauscht werden.

Organisation folgt Emotion

Die zwischenmenschliche Beziehung entscheidet! Denn: Unternehmen können nicht loyalisiert werden, sondern nur Menschen. Ich kenne allerdings keine Verkaufsstatistik, die ‚schlechte Wellenlänge’ als Grund anführt, weshalb ein Geschäft nicht zustande kam. Alle diese Kunden rutschen in die Spalte ‚kein Bedarf’ oder ‚zu teuer’.

Für manchen Verkäufer, gerade für die hochdekorierten und star-allürigen unter ihnen, wird all dies eine riesige Herausforderung darstellen. Denn nun wird unser Held, anstatt seinem Ego zu dienen, offen sagen müssen, dass er mit einem Kunden nicht ‚kann’, und dem Kollegen den Vortritt lassen, bei dem die Wellenlänge stimmt.

Dies ist vielleicht eine Revolution für viele Vertriebsmannschaften, aber ganz sicher ein Segen für die Umsätze des Unternehmens.


Die Autorin:

Anne M. Schüller ist Diplom-Betriebswirt und gilt als führende Expertin für Loyalitätsmarketing. Über zwanzig Jahre lang hatte sie Führungspositionen in Vertrieb und Marketing verschiedener nationaler und internationaler Unternehmen inne und dabei mehrere Auszeichnungen erhalten. Heute ist sie als Marketing Consultant, Hochschuldozentin und Buchautorin tätig. Ihre Schwerpunkte sind: Total Loyalty Marketing, marketingorientiertes Management-Coaching, Impuls-Vorträge, Workshops und Seminare. Sie gehört zum Kreis der ‚Excellent Speakers’.

Kontakt: www.anneschueller.de


Lesetipp:

Anne M. Schüller:
Zukunftstrend Kundenloyalität – Endlich erfolgreich durch loyale Kunden
BusinessVillage, 2. erw. Aufl. 2006, 116 Seiten
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Druck-Version 21,80 €, ISBN 3-934424-53-8

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Über Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Keynote-Speaker, Bestsellerautorin und Businesscoach. Sie gilt als eine der Top-Experten für Touchpoint Management in Europa.