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Zukunft des Handels: Die Maschinen übernehmen

Nicht eCommerce und Online-Händler bestimmen die Zukunft des Handels, sondern das Internet der Dinge.
Andreas Bös | 25.11.2019
Zukunft des Handels: Die Maschinen übernehmen © Pixabay / 3D Animation Production Company
 

Kostenloser Hin- und Rückversand contra Shoppingbummel in der Innenstadt. Datenhoheit und individuelle Kundenwerbung contra Treuepunkte und Prospekte. Webshops contra stationärem Verkauf. Online- und stationäre Händler führen ein Tauziehen um die Gunst des Kunden. Inzwischen treibt die Auseinandersetzung kuriose Blüten: Erste Stimmen nach einer eCommerce-Steuer werden laut, um die Innenstädte und Einkaufsstraßen vor der Konkurrenz aus dem World Wide Web zu schützen. Warum kurios? Der Kampf der Systeme ist ein Scheinkampf und verschleiert den Blick auf den tatsächlich wichtigen Zukunftstrend: Wer beherrscht das Internet of Things (IoT)?

 

Denn nicht eCommerce und Online-Händler bestimmen die Zukunft des Handels, sondern das Internet der Dinge. Der Handel verliert dadurch zunehmend den direkten Kontakt zu seinen Kunden, ganz gleich ob Online oder Offline. Zwei gesellschaftliche Veränderungen treiben diese Entwicklung.

 

Effizienz ist Trumpf: Die moderne Konsumgesellschaft

Mehr Zeit für die Familie statt fürs Einkaufen, das ist die Quintessenz einer McKinsey-Studie. Neun von zehn Deutschen wünschen sich mehr Zeit für gemeinsame Aktivitäten mit ihren Kindern. 84 Prozent möchten mehr Zeit mit ihrem Partner verbringen. Doch unter anderem das Einkaufen macht ihnen gemäß der Studie oft einen Strich durch die Freizeitplanung.

 

Den Deutschen ist das Einkaufen von Alltagsutensilien langsam lästig – sowohl online als auch offline. Sie sind es leid, in ihrer Freizeit durch Supermärkte zu irren oder sich durch die x-te undurchsichtige Bestellmaske im Onlinestore zu klicken. Für 59 Prozent der Kunden zählt laut einer Studie des Beratungsunternehmens Nielsen der Faktor Zeit beim Einkaufen.

 

Die Produktauswahl ist zweitrangig und ordnet sich der Zeitersparnis unter. Stattdessen standardisieren die Kunden ihren Einkauf, wo sie nur können. 67 Prozent der Käufer erwerben laut dem Marktforschungsinstitut Appinio Woche für Woche die gleichen Produkte. Dadurch sparen sie sich zumindest den aufwendigen Preis- und Qualitätsvergleich verschiedener Toilettenpapier-Rollen oder Spülmittel-Tabs. Auch für Waschmittel, Shampoo oder Kaffeepulver gilt: Einmal getestet und für gut befunden, landen Artikel immer wieder im Warenkorb. Es ist dementsprechend kein Wunder, dass Abo-Lösungen immer populärer werden.

 

Die Digitalisierung schreitet voran

Doch nicht nur das Einkaufsverhalten dreht sich um 180 Grad. Dies geht einher mit einem technologischen Quantensprung: dem Siegeszug des Internet der Dinge. Laut Statista sind bereits heute knapp 20 Prozent der Haushalte durch IoT-Lösungen vernetzt, 2023 werden es über ein Drittel sein.

 

Mit IoT werden Hausgeräte schlagartig intelligent. Spül- und Waschmaschinen analysieren eigenständig den Verschmutzungsgrad ihrer Ladung und dosieren das Reinigungsmittel entsprechend; Fahrzeuge überwachen den Abnutzungsgrad von Bremsbelägen oder Reifen und terminieren gegebenenfalls direkt einen Termin in der Werkstatt.

 

Der springende Punkt ist: Bereits heute erfassen und analysieren IoT-Geräte riesige Mengen von Daten und erledigen darauf aufbauend selbstständig Aufgaben. Just an dieser Stelle trifft technologische Innovation auf ein neues Kundenbedürfnis – und stellt den Handel vor eine riesige Herausforderung. Denn aufgrund der vorhandenen Datenmengen erfassen Maschinen auch den jeweiligen Bedarf an Verbrauchsmaterialien und bestellen völlig autark.

 

Händler stehen von allen Seiten unter Druck

Kurz gesagt: Der Kunde lässt einfach das IoT-Gerät einkaufen. Schließlich weiß die vernetzte und intelligente Maschine am besten, wann sie neues Kaffeepulver, Reinigungsmittel oder Batterien braucht. Der Besitzer muss dank Smart Ordering nur noch die Bestellung mit einem Klick am Smartphone bestätigen. Der Kauf erfolgt einfach und zügig; Convenient Shopping heißt das Stichwort.

 

Dem Kunden kommt das gerade gelegen. Schließlich will er sich ohnehin kaum mehr aktiv mit dem Einkauf auseinandersetzen und seine Zeit im Supermarkt oder dem Online-Store verschwenden. Für Händler bedeutet die Bestellung über IoT-Geräte aber auch, dass sie den direkten Kontakt zum Kunden verlieren. Stattdessen ist jetzt die Maschine ihre Anlaufstelle.

 

Dies bringt uns zurück zur Ausgangsfrage: Denn die Online-vs.-Offline-Leier in Dauerschleife hat nichts mit dem Handel der Zukunft zu tun. Die Zukunft des Handels hängt vielmehr von einer anderen Frage ab: Wenn am Ende die Geräte bestellen, bei wem trudeln die Smart Orderings dann ein? Derzeit sind die Hersteller in der Pole Position. Schließlich produzieren und konfigurieren sie die IoT-Geräte. Sie verkaufen fortan nicht nur den Drucker – sondern sorgen dafür, dass er zu jeder Zeit einsatz- und druckfähig ist. Eine lukrative Geschäftsidee. Sie reißen den Aftermarket an sich und kegeln die Zwischenhändler raus. Von Papier bis Patrone, von Kaffee bis Spüli: Der Kampf um die Händlermargen tobt nicht zwischen Off- wie Online, gekämpft wird um die Marge an sich.

 

Und dieser Aftermarket hat es in sich. Laut Statista beträgt der globale Umsatz im Segment Drucker und Kopierer 2019 etwa 8,3 Milliarden Euro. Gleichzeitig setzen Unternehmen weltweit 57 Milliarden Euro, also fast siebenmal so viel, mit dem Verkauf von Druckerpatronen um (Studie des Händlers Superpatronen). Bei Kaffee- oder Spülmaschine ist es ähnlich: Das Gerät verkauft der Händler einmal, die Gebrauchsartikel aber Woche für Woche von neuem.

 

Kunden für’s Leben? Aus Risiken werden Chancen

Allerdings dürfen Händler das Internet of Things und Smart Ordering Services nicht als Weltuntergangsszenarien, sondern als Schubs in die richtige Richtung verstehen. Plakativ gesagt: Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere. Dem steigenden Desinteresse am Einkauf zum Trotz gilt: Schaffen es Händler in der neuen Smart-Ordering-Welt eine Rolle zu spielen, profitieren sie von Produkttreue und Markenloyalität. Der Nutzer konfiguriert einmal das Wunschprodukt und den Shop für den Smart Ordering Service. Solange dieses Setting reibungslos funktioniert, wird er es sicherlich seltener variieren als seinen Griff in das Supermarktregal.

 

Einmal standardisiert und automatisiert entfällt dadurch der Vergleich mit konkurrierenden Produkten, vor allem aber auch mit alternativen Händlern, fast gänzlich. Funktionierende Logistikprozesse vorausgesetzt, sorgt die (passive) Kunden- bzw. Algorithmus-Loyalität für entsprechend langfristige Kundenbeziehungen. Customer-Lifetime Value trifft Automatisierung.

 

Schlussendlich erhöhen Smart Ordering Services die Zahl der Vertriebskanäle zum Kunden. Supermärkte, Kataloge, Apps, Onlineshops – alles kalter Kaffee. Mithilfe vielfältiger Bestellmöglichkeiten wie smarten Schaltern, per Sprachbefehl oder anhand der automatischen Bestellungen über das IoT-Gerät selbst, sind die Händler praktisch jederzeit direkt beim Kunden.

 

Die Tür steht den Händlern offen. Noch!

Smart Ordering Services sind also kein „nice-to-have”. Sie sind die Zukunft. Diese These bestätigt auch eine Studie des Marktforschungsinstituts ECC Köln im Auftrag von SAP: 57 Prozent der 20 bis 60-Jährigen können sich vorstellen, automatisierte Bestellsysteme zu nutzen. Bei den 14 bis 19-Jährigen zeigen sich sogar 80 Prozent der Altersgruppe offen für Smart Ordering Services.

 

Früher oder später werden intelligente Geräte Stück für Stück die Bestellung von Verbrauchsartikeln im Haushalt übernehmen. Wer sich als Händler immer noch im Klein-Klein um Offline vs. Online verzettelt, verpasst den springenden Punkt: In Zukunft werden Kunden weder persönlich im Laden vorbei schauen, noch den Webshop besuchen. Nur Händler, denen es gelingt, an intelligente Bestellsysteme anzudocken, können die ausbleibende Buy-It-Yourself-Kundschaft kompensieren. Der Handel muss handeln! Es geht nicht um Online vs. Offline. Es geht um kaufen vs. kaufen lassen!