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So funktioniert die optimale Agenturauswahl für Digitalprojekte

Wer diese Punkte beachtet, hat gute Chancen auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
DMEXCO | 23.08.2019
So funktioniert die optimale Agenturauswahl für Digitalprojekte © DMEXCO
 

Von Tobias Weidemann Den Beziehungsstatus zwischen Unternehmen und ihren Digitalagenturen kann man in vielen Fällen ganz facebook-like als „es ist kompliziert“ bezeichnen. Immer noch gehen Partner mit falschen Erwartungen ins Rennen. Unternehmen sagen einerseits nicht genau genug, was sie sich vorstellen, andererseits fragen manche Agenturen aber auch nicht im entscheidenden Moment nach oder sagen, was nicht geht. Dabei funktioniert das Agentur-Screening, also die grobe Vorauswahl, oftmals noch exakt so wie vor Jahrzehnten: Eine mehr oder weniger große Gruppe an Agenturen, die man kennt, von denen man schon einmal etwas Beeindruckendes gesehen hat oder deren Mitarbeiter bereits im Unternehmen bekannt sind, wird eingeladen, zu pitchen. Agenturen sehen dabei immer öfter rot – insbesondere wenn es um mehr geht als nur um ein erstes „chemistry meeting“.

Warum der Pitch das falsche Instrument ist

„Der Pitch ist als Auswahlinstrument mehr denn je ungeeignet, um Digitalprojekte, aber auch andere Projekte gemeinsam zu stemmen. Er ist ineffizient, wenn es darum geht, eine fundierte, vernünftige Entscheidung für ein Digitalprojekt zu treffen“, erklärt Marco Zingler, Geschäftsführer der Kölner Full-Service-Digitalagentur Denkwerk und Jury-Präsident des Deutschen Digital Awards. Er bemängelt, dass weder die Agentur noch das beauftragende Unternehmen danach sinnvoll beurteilen können, mit wem man es zu tun hat, ob die Kompetenzen der Agentur zu den Anforderungen des Kunden passen – und nicht zuletzt, ob das Mindset und die Chemie zwischen beiden Partnern stimmen. Wenn teilweise zehn oder zwölf Agenturen beim Kunden ausführliche Konzepte präsentieren, ist das für die Beteiligten ein teures Unterfangen, das auch dem möglichen Auftraggeber wenig bringt, weil es auch ihn immens Zeit kostet. „Die Wahrheit ist, dass eine vernünftige Präsentation eine Agentur zwischen 30 und 80 Projekttagen kostet – ein Aufwand, den viele Unternehmen, sogar selbst Agenturen, unterschätzen und der dann später irgendwie anders refinanziert werden muss“, weiß Zingler. Das hat auch damit zu tun, dass die Zahl an Gewerken, Schnittstellen und Beteiligten bei Digitalprojekten meist deutlich größer ist als bei anderen Agenturaufgaben. Cherrypicker, ein Unternehmen, das Firmen bei der Wahl der passenden Agentur unterstützt, hat im Übrigen ermittelt, dass nicht einmal jeder zweite Pitch bei Digitalprojekten bezahlt wird – und dass wohl auch deswegen fast die Hälfte der Pitchanfragen von Agenturen abgelehnt wird. Schon deswegen sollten sich Unternehmen überlegen, ob sie per Pitch wirklich die besten und gefragtesten Agenturen am Markt bekommen können.

Seriöses Angebot nur nach aussagekräftigem Briefing

Hinzu kommt, dass viele Unternehmen sich schwer damit tun, eine Ausschreibung im Digitalbereich so zu formulieren, dass Agenturen ein vernünftiges Pflichtenheft erstellen und alle Teilaufgaben seriös bepreisen können. „Wenn wir beispielsweise eine Website gestalten wollen, brauchen wir nicht nur ein windiges Briefing, das mehr Löcher als ein Schweizer Käse hat, sondern wir benötigen ein vollständiges Lastenheft, anhand dessen man einen Werkvertrag erstellen kann“, sagt Zingler – und geht sogar noch einen Schritt weiter: „Meine Meinung ist, dass auch heute noch viele Marketingverantwortliche in Unternehmen ihre Aufgabe, Digitalagenturen seriös und solide zu führen, nicht vollständig beherrschen – manche beherrschen das überhaupt nicht.“ Doch wie kann man als Unternehmen sinnvoll herausfinden, ob eine Agentur zur eigenen Arbeitsweise passt? Immer mehr Agenturen arbeiten insbesondere bei Digitalprojekten, aber nicht nur mehr dort, mit agilen Verfahren, namentlich an Scrum angelehnten Methoden, bei denen es feste Zyklen und Sprints gibt. Dabei bekommt der Kunde nicht erst das fertige Produkt zu Gesicht, sondern sieht auch im Laufe der Entwicklung, ob diese in die richtige Richtung läuft und das Ergebnis dem entspricht, was er sich vorstellt. Doch agile Managementmethoden, die das alte Wasserfall-Modell ersetzen, bedeuten für das Unternehmen auch, dass es sich mindestens als Product Owner in den Prozess einbringen muss. Der Auftraggeber nimmt somit nicht nur eine Beobachterrolle ein, sondern ist permanent als feste Funktion involviert.

Workshop oder Testprojekt schaffen Vertrauen auf beiden Seiten

Auch rät Zingler dazu, dass ein Unternehmen ein erstes Workshop-Format bei der Agentur bucht – das dann selbstverständlich auch honoriert werden müsse. „Man löst dabei eine real existierende Frage oder einen Teilaspekt aus dem geplanten Projekt heraus und erarbeitet gemeinsam die Lösung. Das können ganz unterschiedliche Formate sein, etwa ein Growth Hacking Workshop, ein Design Thinking-Projekt oder ein Brand Workshop. Selbst Creative Brief-Workshops ergeben Sinn, weil Marketingverantwortliche oftmals erst dann verstehen, was sie an Antworten erarbeiten müssen, um eine Agentur vernünftig zu führen.“ Nützlich und gut investiert ist das für beide Seiten: Denn der Auftraggeber erlebt so die Personen, die in der Agentur operativ arbeiten – und nicht nur diejenigen, die erfolgreich für die Kundenakquise losgeschickt werden – und auch die Agentur erfährt viel über die Workflows des Kunden. Gleichzeitig hat keiner der Partner ein Kostenrisiko: Die Agentur arbeitet nicht für Gotteslohn und das beauftragende Unternehmen erhält für den „meist vier- bis niedrig fünfstelligen Betrag“ konkrete Ergebnisse, die sich im schlimmsten Fall auch mit einem anderen Implementierungspartner oder intern weiter nutzen lassen. Zudem erfahren beide Partner aber auch, wie viel Aufwand und Budget benötigt wird, und welche Funktionen man aufgrund der historisch gewachsenen IT-Situation (Legacy IT) möglicherweise erst in einer späteren Phase umsetzen kann. Für beide Partner bedeutet all das auch den Aufbau von Vertrauen – und das ist sicherlich keine schlechte Grundlage, wenn man als Unternehmen den Sprung ins kalte Wasser vermeiden möchte.

Fazit: Chemistry Meeting statt Pitch

Gerade Digitalprojekte sind oftmals so komplex, dass ein Pitch weder für Unternehmen noch für Agenturen taugt, um den Partner wirklich einschätzen zu können. Doch es gibt faire Wege, wie man einander so gut kennen lernt, dass man nicht die Katze im Sack kauft. Denn letztlich ist neben den Kompetenzen eines Dienstleisters die menschliche Komponente in der täglichen Zusammenarbeit nicht zu unterschätzen. Tobias Weidemann ist freier Journalist und Berater für Kommunikations- und Content-Themen. Er schreibt über all das, was die Digitalwirtschaft und das Internet so spannend machen - seine Themen reichen von Online-Marketing und E-Commerce über Fintechs und Blockchain bis hin zu Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz.