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Customer Experience vs. E-Commerce Experience

Ökonomen haben sich immer wieder an Theorien zum optimalen Management eines Unternehmens abgearbeitet, doch der Kampf um den Kunden ist vorbei.
Andreas Helios | 20.01.2020
Customer Experience vs. E-Commerce Experience © Fotolia / alphaspirit
 

„Mache Verhalten messbar und es wird sich ändern“ oder „What gets measured, gets managed“ – die großen Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftler unserer Zeit haben sich immer wieder an Theorien zum optimalen Management eines Unternehmens oder einer ganzen Volkswirtschaft abgearbeitet. Die Rolle des Kunden oder Konsumenten wurde dabei sehr oft auf das Subjekt der notwendigen Nachfragegenerierung reduziert. Ob der Kunde mit der ihm angebotenen Leistung letztendlich auch zufrieden ist oder wie er sich dabei fühlt, war selten Gegenstand der Untersuchungen. Bis jetzt.

Wie zufrieden sind eigentlich Ihre Kunden mit Ihrem Produkt oder Ihrer Marke? Hatte Ihre letztjährige Erhebung des Net Promoter Score nicht einen deutlich zweistelligen positiven Wert mit einer zehn Prozent Steigerung gegenüber dem Vorjahr ergeben? Also alles im grünen Bereich? Nicht unbedingt.

Betrachten wir mal einzelne Interaktionspunkte des Kunden mit einem Unternehmen: 80 Prozent Zufriedenheit mit der telefonischen Hotline, 85 Prozent mit dem persönlichen Vertriebskontakt, 85 Prozent Zufriedenheit mit der Web Experience und 80 Prozent Zufriedenheit mit dem Support – ergibt … eine Gesamtbewertung von … nur noch 46 Prozent Zufriedenheit. Hmm. Wenn tatsächlich nur jeder zweite Kunde über alle Berührungspunkte hinweg zufrieden ist, gibt es sicherlich jede Menge Möglichkeiten, aktiv nachzusteuern. Vorausgesetzt, man kann die Werte der einzelnen Interaktionen zeitnah und kontinuierlich messen und die Ergebnisse direkt in konkrete Handlungsempfehlungen einfließen lassen. Die Technik dafür steht bereit.

Waren die letzten 50 Jahre zuerst stark von der Optimierung der innerbetrieblichen Prozesse und dann von der Optimierung der weltweiten Wertschöpfungsketten geprägt, scheint jetzt die Zeit gekommen, gute Kundenbeziehungen ganz oben auf die Prioritätenliste zu schreiben. Warum? Weil sich der Markt verändert hat, weil man Customer Experience endlich an jedem einzelnen Berührungspunkt oder sogar Transaktion messen kann und vor allem, weil es der wichtigste Erfolgsfaktor für den globalen Wettbewerb ist.

Wann hat das mit dieser Customer-Experience-Fokussierung eigentlich angefangen? Warum spricht niemand mehr über Erfahrungen oder Erlebnisse, sondern neudeutsch nur noch von der Experience. Wie so oft haben unsere Freunde aus dem angloamerikanischen Sprachraum schon ganz früh erkannt, dass neben dem Produkt die Experience ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen sein könnten. Vorreiter waren Fluggesellschaften, die schon in den frühen 1990er-Jahren begonnen haben, im harten Wettbewerb nicht mit Preisführerschaft, sondern mit besserem Kundenservice und intelligente Kundenbindungsinstrumente zu bestehen. Das Konzept der Loyalty-Karten war geboren.

Im deutschsprachigen Raum gab es zwar seit Urzeiten den Spruch vom „Kunden, der selbstredend im Mittelpunkt steht“, aber in einem Verkäufermarkt, bei entsprechender Knappheit des Produktes, hat der Kunde manchmal gar nicht so viel davon gespürt. Man erinnere sich nur an das Bonmot, dass „Kunden-Service“ für viele Unternehmen gleich zwei völlig neue Begriffe sind. Das Thema Customer Experience ist also kein wirklich neuer Begriff, kein wirklich neuer Ansatz. Was neu ist, ist die extrem gesteigerte Bedeutung, die dem Thema in einer gesättigten von Umbrüchen geprägten Gesellschaft zukommt.

Erlebnisse sind immer persönlich

Jeder hat seine eigene Geschichte von guten oder schlechten Erlebnissen mit Produkten, Marken oder Dienstleistern. Ist irgendwie ja auch logisch, denn Erlebnisse sind immer persönlich. Was für den einen Personalisierung in Perfektion ist, empfindet der andere als ungebetene Einmischung in seine Privatsphäre. Was alle Erlebnisse aber gemein haben, ist, dass man sich oft lange daran erinnert. Das Zitat „Menschen vergessen was Du gesagt hast, aber nie was Du sie hast fühlen lassen“ bringt es ganz gut auf den Punkt.

Mein persönliches Erweckungserlebnis im Bereich Personalisierung war ein freundliches „Welcome Mr. Helios“ eines Hotelangestellten schon beim Ausstieg aus dem Taxi. Noch lange vor dem Check-in. Im ersten Moment fühlt sich das richtig gut an. VIP-like eben. Erst im zweiten Moment stellt sich die Frage. Woher kennt der Hotelmitarbeiter an der Tür eigentlich meinen Namen und wie hat er mich erkannt? Außer einer standardisierten Reservierung sollte ein Hotel doch keine Informationen über einen Erstbesucher besitzen … Aber was solls. Die Experience war prima, mein Ego war gestreichelt und ich hatte einen hervorragenden Aufenthalt in einem exklusiven Hotel.

Jetzt stellen wir uns die gleiche Situation mal in der Onlinewelt vor. Sie besuchen zum ersten Mal die Informationsseite eines Hotels und werden gleich auf der Homepage mit Ihrem Namen begrüßt, obwohl Sie wie immer über ein Hotelportal gebucht haben. Das finden wir dann irgendwie nicht mehr so toll. Und genau hier verläuft eine sehr feine individuelle Grenze zwischen guter – in diesem Fall personalisierter – Customer Experience und einem unguten Gefühl der nicht autorisierten Datenweitergabe.

Natürlich ist das Thema Personalisierung nur ein von vielen unterschiedlichen Stellschrauben, um einem potenziellen Kunden ein erinnerungswürdiges Markenerlebnis zu bieten. Natürlich sollte es zuallererst immer um den Nutzen beziehungsweise das Einlösen eines Nutzenversprechens, und zwar aus Sicht des Kunden gehen. Wenn Sie es zusätzlich noch schaffen, die unterschiedlichsten Kunden-Kommunikations-Schnittstellen auf eine gemeinsame Datenbasis zu stellen, dann haben Sie schon viel richtig gemacht. Die Champions League der Customer Experience erreichen Sie aber dann, wenn Sie alle Phasen der Kundenaktion, also vor, während und nach dem Erwerb eines Produktes oder einer Leistung mit gleichbleibend gutem Kundenfokus punkten.

Customer Experience vs. E-Commerce Experience

Dass sich der Aufwand lohnt, das belegen zwischenzeitlich beliebig viele Studien, die den positiven Einfluss einer überdurchschnittlichen Customer Experience auf den Unternehmenserfolg nachweisen. Allein dem Thema Personalisierung wird laut BCG ein positiver Einfluss von sechs bis zehn Prozent auf den Umsatz zugeschrieben [1]. Einige diese Erhebungen setzen allerdings CX mit Markenstärke (Brand Trust) gleich. In anderen Quellen wird nicht wirklich zwischen E-Commerce Experience (wie begeisternd war mein Online-Shopping-Erlebnis) und Customer Experience über die gesamte Kundenbeziehung unterschieden. Letztere beinhaltet per Definition aber alle Berührungspunkte eines Kunden mit der Marke.

Das E-Commerce-Erlebnis ist sicher ein wichtiger, aber niemals der alleinige Indikator für CX. Es reicht deshalb nicht, auf bestehende Prozesse und einer über viele Jahre gewachsene Unternehmenskultur einfach eine E-Commerce-Komponente „überzustülpen“. Eine nachhaltige CX-Strategie muss sämtliche Unternehmensprozesse auf den Prüfstand stellen und sowohl Prozesse als auch Kommunikation aus dem Kundenblickwinkel betrachten.

Dabei gilt es, wie im einführenden Beispiel angedeutet, eine gute Balance zwischen dem heute technisch machbaren, dem kundenseitig akzeptiertem und dem ökonomisch sinnvollen zu finden. Um diese sinnvolle Balance zu finden, ist es wichtig, die wesentlichen Einflussfaktoren und ihre Auswirkungen auf das Kundenverhalten zu kennen und für die eigene Situation zu bewerten.

Einflussfaktoren

Die Gewichte haben sich in den letzten Jahren vom Anbieter zum Konsumenten hin verschoben. Viele Märkte – man denke beispielsweise an den Automobilmarkt – sind von Überkapazitäten geprägt.

Der Ultra-Transparente Käufermarkt

Der Kunde hat mehr Auswahl denn je in den letzten 50 Jahren. Gleichzeitig schaffen Marktplätze und effiziente Recherchemöglichkeiten maximale Transparenz zu Preisen, Leistung und Service. Noch offene Fragen werden über soziale Kanäle im direkten Informationsaustausch der Konsumenten beantwortet. Aber was bedeutet es für die Verkäufer-Käufer-Beziehung, wenn beide Seiten auf dem gleichen Wissenstand sind? Nichts Gutes für den Verkäufer. Die Machtverhältnisse haben sich deutlich verschoben. Und die Konsumenten wissen die neugewonnene Macht gezielt einzusetzen. Stichwort Bewertungsportale, Preis-Suchmaschinen, Lösungsmarktplätze.

Digitale Transformation

Hat gerade jemand „Bingo“ gerufen? Zugegeben, der Begriff Digitale Transformation fehlt heute in keiner Abhandlung zum Status der Gesellschaft oder der Wirtschaft. Und das ist auch gut so. Die Auswirkungen dieser (uns transformierenden) Veränderungen sind für jeden längst erlebbar. Dabei wird die Stärke einer Veränderung nicht an der Lautstärke im öffentlichen Diskurs – Beispiel Mobilitätsanbieter und E-Scooter – gemessen, sondern eher daran, dass wir schleichend akzeptieren, dass wir zum Beispiel intelligenten Lautsprechern Zutritt zu unseren Wohnungen und unseren privaten Gesprächen gewähren. Als Gegenleistung erhalten wir natürlich eine optimierte Customer Experience, die sich in diesem Beispiel in einer bisher unerreicht einfachen Bedienung ausdrückt.

Was hat das mit unserem Produkt zu tun? Auch wenn Sie zum Beispiel im spezialisierten Anlagenbau tätig und damit meilenweit von „Alexa – spiel Gute-Laune-Musik“-Szenarien entfernt sind, steigen auch für Sie die Ansprüche an ganzheitliche, abgestimmte kundenfreundliche Prozesse und Schnittstellen. Dieser von Gartner „Consumerization“ getaufte Effekt beschreibt genau diesen Einfluss der B2C-Unternehmen auf den B2B-Bereich. Der Mitarbeiter stellt an seine berufliche, professionelle Infrastruktur mindestens die gleichen Anforderungen an Nutzen und Bedienbarkeit wie an seine, meist kostenlosen, privaten Apps. Dieser Effekt wird durch die langsam verwischten Grenzen zwischen privatem und beruflichem Leben – Trend zu Homeoffice-Arbeitsplätzen, universell genutzte Smartphones (Bring Your Own Device), berufliche WhatsAppGruppen – noch signifikant verstärkt.


Literatur

[1] Abraham, M., Archaki, R. et al. (2019):The Next Level of Personalization in Retail, http://image-src.bcg.com/Images/BCG-The-Next-Level-of-Personalization-in-Retail-June-2019-R_tcm9-221168.pdf – Zugriff 17.10.2019

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Über Andreas Helios

Andreas Helios ist Head of MEE Marketing, SAP Hybris.