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Relevanz durch situatives Targeting

Situatives Targeting ersetzt Cookies: Kampagnen reagieren auf Echtzeitdaten wie Wetter, Events oder Märkte – 70 % mehr Reichweite, 30 % weniger Kosten
Lars Hilsebein | 12.11.2025
Cynapsis Media © Lars Hilsebein
 

Mediabudgets steigen, Reichweiten wachsen – aber die Conversion-Raten bleiben flach. Der Grund ist simpel: Klassisches Targeting adressiert im besten Fall die richtigen Menschen aber häufig zum falschen Zeitpunkt. Third-Party-Cookies verschwinden schrittweise, Consent-Raten brechen ein, Adblocker sind Standard. Gleichzeitig wächst die Werbemüdigkeit: Botschaften prasseln im Feed, auf der Straße und im Stream auf uns ein. Die Dauerberieselung nervt, weil die meisten Kampagnen zum falschen Zeitpunkt kommen.

Die Alternative heißt situatives Targeting. Statt Nutzerprofile zu tracken, analysiert dieser Ansatz messbare Umgebungsbedingungen und sorgt somit für echte Relevanz: Wetter, Events, Verkehr, Gesundheitsdaten. Kampagnen laufen nur dann, wenn echte Relevanz gegeben ist – cookie-frei, DSGVO-konform und bis zu 70 Prozent reichweitenstärker bei gleichzeitig 30 Prozent niedrigeren Kosten.

Der Perspektivwechsel: Vom Nutzerprofil zur Situation

Klassisches Data-Driven Marketing arbeitet mit Nutzerprofilen – Verhalten, Interessen, Demografie. Diese Daten sind oft veraltet, lückenhaft oder durch Datenschutzanforderungen kaum noch verfügbar. Vor allem aber beantworten sie eine entscheidende Frage nicht: Ist mein Produkt für den Menschen jetzt gerade relevant?

Situatives Targeting dreht die Perspektive um. Statt zu fragen, wer angesprochen werden soll, lautet die Frage: wann und unter welchen Umständen. Die messbare Umgebung wird zum Targeting-Kriterium:

 

  • Aktuelle Wetterlage (Temperatur, UV-Index, Niederschlag)
  • Regionale Verkehrsdichte und Fußgängerfrequenz
  • Lokale Events (Sport, Konzerte, Volksfeste)
  • Gesundheitsdaten (Grippe-Index, Pollenflug)
  • Tageszeit, Wochentag, saisonale Entwicklungen

 

Spezialisierte Anbieter kombinieren hunderte solcher Datenquellen zu präzisen Situations-Indizes in einer Datenplattform. Ein "Biergarten-Index" etwa setzt sich zusammen aus: Temperatur + Wochentag + Feierabendzeit + Fußgängerfrequenz. Erreicht dieser Index einen definierten Schwellenwert, wird die Kampagne aktiviert – auf PLZ5-Ebene in Deutschland, mit H3-Auflösung international (hexagonbasiertes Geolocation-System für präzise räumliche Datenmodellierung).

Der entscheidende Unterschied: Kampagnen treffen nicht mehr nur Zielgruppen, sondern konkrete Bedarfsmomente.

Wie situative Datenplattformen funktionieren

Situative Data Management Platforms (sDMP) arbeiten mit drei Kernelementen: Echtzeit-Datenintegration aggregiert Umgebungsdaten kontinuierlich und regional. Situations-Modellierung kombiniert einzelne Signale zu aussagekräftigen Indizes. Automatisierte Kampagnensteuerung aktiviert Werbemittel nur dort und dann, wo Situationen eintreten.

Besonders relevant: Dynamic Messaging passt Werbebotschaften automatisch der Situation an. Aus einer generischen Sonnencreme-Kampagne wird: "Endlich Sonne! Jetzt 20% Rabatt – nur heute". Regenwetter? Aus generischer Lieferdienst-Werbung wird bei Regen: “Bleib gemütlich zu Hause – wir bringen dein Essen in 30 Minuten.”

Budgets fließen automatisch dorthin, wo Situationen aktiviert sind. Das Ergebnis: passgenaue Ausspielung, höhere Relevanz – und das ohne personenbezogene Daten oder Cookie-Consent. Und genau darum kann die Reichweite auch ConsentFree eingekauft werden. So erreichen die Kampagnen weit mehr Menschen. Zum richtigen Zeitpunkt und deutlich günstiger, als Consent-Traffic kostet.

Situatives Targeting in der Praxis: Zwei Beispiele

Beispiel 1: Erkältungsmittel reagiert auf regionale Grippewellen

Ein Pharmaunternehmen kombiniert regionale Grippedaten, lokales Wetter und Google-Suchanfragen zu einem Erkältungs-Index. Die Kampagne läuft automatisch nur in PLZ-Gebieten, in denen die Erkältungsintensität einen definierten Schwellenwert überschreitet. Die Botschaft: "Erkältungswelle in deiner Region – schnelle Hilfe aus der Apotheke".

Mediabudgets fließen nur dorthin, wo Menschen tatsächlich erkältet sind, also genau dann, wenn die Nachfrage am höchsten ist. Keine Verschwendung von Budget in Regionen oder Jahreszeiten ohne akute Erkältungsfälle.

 

Beispiel 2: Bank steuert Wertpapier-Depot-Kampagne anhand der Volatilität

Wertpapierdepots haben bei potentiellen neuen Nutzern dann eine hohe Relevanz, wenn sich damit gerade viel Geld verdienen lässt. Das ist dann der Fall, wenn die Schwankungen an den Märkten am höchsten sind. Damit das von den Rezipienten auch direkt erkannt wird, wird der Kurs der letzten Tage auch voll dynamisch direkt im Werbemittel als Chart gezeigt. 

Kampagnen benötigen nicht immer einen lokalen Bezug, entscheidend ist die Situation, die auch überregional sein kann.

Fazit: Wenn der Moment über den Erfolg entscheidet

Die Zukunft des datengetriebenen Marketings liegt nicht in detaillierteren Nutzerprofilen, sondern im präzisen Einsatz von Kontextdaten. Wirksame Kommunikation funktioniert ohne Cookies und User-IDs – wenn man versteht, wann der richtige Moment ist.

Für die Praxis bedeutet das einen Paradigmenwechsel. Kampagnenplaner müssen nicht mehr raten, wann der beste Zeitpunkt ist – situative Plattformen automatisieren die Budget-Allokation nach echtem Bedarf. Media-Einkäufer reduzieren Kosten, weil Kampagnen nur dort und dann laufen, wo Aufmerksamkeit und Nachfrage zusammenkommen. Brands gewinnen Akzeptanz, weil Botschaften in einer werbeüberfluteten Welt als hilfreich wahrgenommen werden statt als störend. Und Datenschutz-Verantwortliche profitieren von einem Ansatz, der ohne Consent-Probleme und Tracking-Risiken auskommt.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Werbung wird vom Störfaktor zum Problemlöser – weil sie genau dann erscheint, wenn sie gebraucht wird. Marken, die diesen Perspektivwechsel vollziehen, gewinnen dreifach: mehr Reichweite, niedrigere Kosten, echte Relevanz. Denn Relevanz entsteht dort, wo Daten auf den richtigen Moment treffen.